DATENSCHUTZ

"Hier spricht Dein Ekeldrops"

Telefon-Botschaften über Textpager können von Fremden mitgelesen werden


Dienstag, 8. Juli, 18.07 Uhr. In einem Düsseldorfer Büro wählt die Sekretärin Christiane Reuter die Funkrufdienst-Nummer eines Kollegen. "Herr Heye*, bitte Rückruf", spricht sie auf Band, "heute bis 19.00 oder morgen bis 12.00! Danke. Tschüs." Kurz darauf kann Heye die Bitte auf dem Display seines scheckkartenkleinen Empfängers - Pager genannt - ablesen. Freilich nicht nur er.

Denn zur selben Zeit sitzt in Aachen Johann Förster* vor seinem Computer und liest mit. So wie er an diesem Tag schon Tausende von Kurznachrichten, die an Textpager gesendet wurden, empfangen, entschlüsselt und mitgelesen hat. Die etwa 350000 in Deutschland verkauften, "textfähigen" Mini-Geräte namens Telmi (Anbieter: Deutsche Funkruf), Quix (Miniruf) oder Cityruf (T-Mobil) mögen schnell, handlich, hilfreich und statussymbolträchtig sein. Nur eines sind sie gewiß nicht: abhörsicher.

*Name von der Redaktion geändert.

Jeder Computer-Tüftler kann die per Funk übermittelten Meldungen mit relativ einfachen Mitteln auf seinen Bildschirm zaubern. Er braucht dafür lediglich einen Rechner mit Soundkarte und einen Scanner, mit dem er die Signale empfängt. Die Sendefrequenzen findet er in Mailboxen, ebenso die Programme, mit denen er die Daten in Klartext umwandelt.

Mit den Nachrichten erscheinen auch die Pager-"Adressen", siebenstellige Nummern, auf dem Schirm. Und damit, warnt Johann Förster, "lassen sich die Leute gläsern machen" - weil die Ableser über Wochen gezielt Botschaften an bestimmte Empfänger aus der Datenflut filtern und abspeichern können.

Beispiel Heye: Bereits nach drei Tagen und elf aufgefangenen Meldungen weiß Förster ziemlich viel über den Mann: Wo er arbeitet, wie sein Sohn heißt, daß er von seiner Frau getrennt lebt - und daß er in Urlaub fahren will, seine Wohnung vermutlich unbewacht ist.

Mehr noch: Mit einem einfachen Kniff können Hacker über ihren Computer interessante "Adressen", vor allem bei älteren Telmis, selbst "anpagen" und getürkte Nachrichten plazieren. Oder um Rückruf bitten. Meldet sich der Betroffene, so erscheint häufig dessen Nummer auf dem Telefon-Display - und damit läßt sich leicht herausfinden, wo er wohnt oder arbeitet.

Der Bundesdatenschützer Joachim Jacob fürchtet, daß sich eine "relativ große Zahl" von Computer-Experten diese Möglichkeiten "zielgerichtet nutzbar" machen könnte - auch zu kri-minellen Zwecken. Denn die Textpager werden nicht nur zum Austausch von Liebesbotschaften ("Hier spricht Dein Ekeldrops") genutzt. Sondern zunehmend auch von der Polizei, von Firmen, Behörden, Journalisten, Rechtsanwälten und Politikern ("Wir treffen uns in der Fraktion. Ingrid."). Aber auch von Dealern und deren Kunden ("Vergiß das Koks nicht. Du bekommst Deine 2000 Mark.")

Die Ruf-Dienstleister wissen das alles durchaus; die meisten weisen - wie vom Gesetzgeber gefordert - die Käufer ihrer Pager sogar darauf hin, daß Funkrufsignale nicht abhörsicher sind. Allerdings ist die Warnung oft sehr gut versteckt, etwa in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Und die, sagt Joachim Jacob, "liest kaum jemand".

Die Journalistin Carola Pfeiffer etwa fiel aus allen Wolken, als der STERN ihr Nachrichten vorlas, die auf ihrem Pager eingegangen waren: "Das ist ja wohl das letzte, daß sowas geht." Nicht weniger betroffen sind die Absender, die häufig sehr viel von sich oder den Empfängern preisgeben: Adresse, Telefonnummer, geschlechtliche Neigungen oder Hinweise auf Geldgeschäfte.

Datenschützer Jacob mahnt deshalb, beim "Text-Pagen" vorsichtig mit wichtigen Informationen umzugehen: "Das ist quasi wie eine Botschaft über die Tagesschau."

ANDREAS BORCHERS



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